Afrika ist wohl der interessanteste Ort, um Talente zu suchen. Nirgendwo gibt es so viele junge Kicker, nirgendwo so wenig Konkurrenz. Doch die Rahmenbedingungen sind schwierig. Über die
wahre Leidenschaft fürs Spiel, ergraute 18-Jährige und das Gefühl, kurzerhand ein Stadion zu mieten.
Afrika müsste eigentlich der Sehnsuchtsort für Fußballliebhaber sein. Für all diejenigen, die sich über zunehmende Kommerzialisierung beklagen oder traurig auf die verwaisten Bolzplätze schauen, auf denen man als Kind gekickt hat.
Afrika ist ein Ort, an dem man von früh bis spät in Fußballschuhen umherlaufen könnte und immer neue Plätze finden würde, auf denen Kinder und Erwachsene spielen. Wo materielle Dinge nichts zu zählen scheinen. Die löchrigen Stollenschuhe sind notdürftig geklebt und wenn sie dann doch auseinandernander brechen, ist es keine Frage, dass der Ersatzspieler seine abgibt.
Afrikas Kinder spielen mal in zu großen Schuhen, mal in gar keinen, mit Bällen, die an alte Pele-Videos erinnern, und in den kuriosesten Trikots, die man sich vorstellen kann, weil sie oft von Kleiderspenden aus Europa stammen. Da stehen sich dann schon einmal ein Junge im 90er-Jahre-Kaiserslautern-Trikot mit einem anderen im Dress einer Berliner Kreisligamannschaft gegenüber. Und das Schönste daran: Es scheint niemanden zu stören.
Wer aus Europa kommt, wird zum Hoffnungsträger
Es ist daher zwangsläufig, dass man mit ein wenig Geld viel Eindruck schinden und genauso viel bewegen kann. Ich habe für ein kleines Turnier in Kamerun einmal ein großes Stadion gemietet, weil es die einzige Möglichkeit war, auf Kunstrasen zu spielen. Ein Nachmittag im weiten Rund kostete umgerechnet 75 Euro. Ein surreales Gefühl.
Aber klar ist auch – ob mit oder ohne Stadion –, dass man als Europäer zum Hoffnungsträger jedes einzelnen Spielers wird, bei dem man einmal am Spielfeldrand auftaucht. Wer sein Gewissen beruhigen will, verbringt daher viel Zeit damit, die Erwartungen der Nachwuchskicker zu bremsen.
Die Leidenschaft, mit denen diese an ihrem Traum vom Profifußball in Europa arbeiten, ist jedoch grenzenlos: Das (beinahe) tägliche Training auf holprigem Geläuf, Auswärtsfahrten in heillos überfüllten Minibussen, kilometerlange Märsche zum Trainingsplatz oder Spielort und absolute Disziplin gegenüber Trainern und Schiedsrichtern.
Wobei dieser Gehorsam auch aus durchaus prämodernen Erziehungsmaßnahmen resultiert. In Kameruns Hauptstadt Yaoundé saß ich einmal mit einem U20-Nationalspieler, seinem Klub-Präsidenten und einigen weiteren Herren zusammen. Jeder bestellte etwas zu trinken, nur der Spieler nicht. Er musste aus einer mitgebrachten Wasserflasche trinken. Mittelalterliche Methoden, würden wir sagen. Strenge Disziplin, nennen es die Afrikaner.
Dass solche Jungs, die dem Ziel Fußballprofi alles unterordnen, nach Europa kommen und dort durch Undiszipliniertheiten auffallen? Eigentlich kaum vorstellbar.
Auf einem Kontinent, auf dem das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei rund 18 Jahren liegt, kann die Jugend schnell vorbei sein. In Afrika gibt es viele 12-Jährige, die auf Schrottplätzen und in Küchen schuften, die Autos waschen oder an den Schnellstraßen stehen und Nüsse verkaufen. Einige spielen Fußball. Auf ihnen lasten die Hoffnungen der Familie, manchmal eines ganzen Stammes oder Dorfes. Ihr Talent kann der Weg aus der Armut sein. Daher sieht ihr Fußballspiel manchmal weniger nach kindlicher Leichtigkeit aus als nach einem Job, für den sie alles tun.
Der Druck ist enorm (dazu mein Artikel aus der "Welt am Sonntag"), wie eine Whatsapp-Nachricht von "Kaiser" Moukoko, einem 15 Jahre alten Verteidiger aus Kamerun, zeigt. Er schrieb: „Wie ich es Ihnen schon einmal gesagt habe, ich träume jede Nacht davon, Profi im Ausland zu werden. Mir geht es nicht gut, ich lebe einzig in der Hoffnung, dass dieser Tag mit Gottes Hilfe kommt. Das ist die Wahrheit.“
An der Hingabe und dem Können der jungen Spieler liegt es jedenfalls nicht, dass der afrikanische Fußball nicht so richtig aus den Startlöchern kommt und weiter darauf wartet, auch auf der großen Bühne Weltmeisterschaft mit den Besten mithalten zu können.
Nirgendwo bleiben so viele Talente auf der Strecke
Es gibt eine interessante Statistik: Bei U17-Weltmeisterschaften haben afrikanische Teams mehr Titel (7) geholt als Europäer (3) und Südamerikaner (3) zusammen. In der Geschichte der U20-WMs findet sich jedoch nur noch ein Triumph, bei den A-Weltmeisterschaften dagegen ist noch nicht einmal ein Einzug ins Halbfinale herausgesprungen.
Diese Statistik wird oft so interpretiert, dass Afrikaner im jungen Alter körperlich weiter sind (oder beim Alter betrügen). Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, immer wieder wurden mir Jugendliche präsentiert, die wesentlich älter aussahen. Bei einem Spiel in Kamerun stand ein angeblich 18-Jähriger auf dem Feld, der schon leicht ergraute.
Es kann aber keineswegs die ganze Wahrheit sein. Vielmehr kann man aus der Statistik auch Folgendes schließen: Nirgendwo bleiben so viele Talente auf der Strecke wie in Afrika. Die Gründe sind besonders dreierlei:
1. fehlende Infrastruktur:
In Douala, der größten Stadt Kameruns, gibt es nicht einmal eine Hand voll Kunstrasenplätze. Auf den wenigen, die es gibt, trainieren vor allem die Profis der größten Klubs. Für den Nachwuchs bleiben deshalb häufig nur steinige, staubige Spielfelder oder Rasenplätze wie Kartoffeläcker. Anderswo, wie ich es in der senegalesischen Stadt Mbour vorfand, schlicht Sand.
Auf dem Fußballplatz dort, auf dem angeblich Sadio Mané groß wurde, erinnert Fußball mehr an Beachsoccer. Im Senegal wie in Kamerun sind es lediglich einige finanzkräftige private Fußballschulen, die ihren Talenten gute Plätze (und ausgebildete Trainer) bieten können.
Solche Akademien, meist als Internate geführt, sind beeindruckend, besonders Diambars und Generation Foot (das zum FC Metz gehört) im Senegal und die Fußballschule "Brasseries" in Kamerun. Sie alle füllen jedoch eine Lücke, die die in der Nachwuchsarbeit wenig engagierten Fußballverbände hinterlassen.
Und manchmal endet es dann wie bei der Kadji-Akademie unweit von Douala. Dort hat das namensgebende Unternehmen die Finanzierung inzwischen heruntergefahren. Deshalb spielen auf den traumhaften Rasenplätzen nun nicht mehr die talentiertesten Kinder und Jugendlichen, sondern die, deren Eltern es sich leisten können.
2. Korruption
Hermann Lobe, ein äußerst talentierter 15-Jähriger Mittelfeldspieler, wurde zu einem Lehrgang der kamerunischen U17-Nationalmannschaft eingeladen, schrieb mir der Manager von Lobes Mannschaft. Cool, sagte ich, dann wird er vielleicht bald beim U17-Afrika-Cup dabei sein? Der Manager war skeptisch: "Der Nationaltrainer will eine Million Francs." 1500 Euro Schmiergeld.
Das wichtigste, um junge Talente in Europa zu vermitteln, sind gute Videos. Gute Videos gibt es eigentlich nur von Junioren-Länderspielen, wenn professionelle Kameras im Einsatz sind und auf ordentlichen Plätzen gespielt wird. Außerdem schinden Länderspiele Eindruck. Wenn aber Talente nicht in der Nationalmannschaft spielen, weil sie dafür nicht bezahlen können oder wollen, haben sie ein Problem.
3. zweifelhafte Angebote
Fußball ist ein Geschäft und mit talentierten Spielern lässt sich viel Geld verdienen. Dass deshalb Tausende junger Afrikaner jedes Jahr zum Fußballspielen nach Europa kommen, wie manche Medien hier und da behaupten (z.B. der SPIEGEL hier), ist jedoch Quatsch. Denn ein Visum für die EU zu bekommen, ist höchst kompliziert. Andernfalls würden wohl weniger junge Männer auf Flüchtlingsboote steigen, sondern Fußballer werden.
Nein, junge Spieler (und oft sind sie doch 18 Jahre alt) haben meistens, und das ist aus fußballerischer Sicht das Problem, nicht die Nerven und die Geduld, um auf ein sportlich attraktives Anbegot aus Europa zu warten (oder es kommt nicht, weil sie nie entdeckt wurden). Also nehmen sie das, was sich als erstes anbietet. Und aus (schwarz)afrikanischer Sicht kann man auch anderswo gutes Geld verdienen: Nordafrika, die Golf-Staaten, die USA oder Fernost.
Oft haben Talente auch kein Mitspracherecht. Bei großen Vereinen entscheidet der Präsident, wohin ein Spieler wechselt, und da geht es meist um den schnellen Profit. Oder Eltern geben die Karriere ihrer Söhne in mehr oder weniger vertrauensvolle Hände von Agenten.
Brice Jordan Monga, zum Beispiel, ein ehemaliger U17-Internationaler, vertraute seine Karriere einem solchen Mann an. Doch aus dem Traum von Europa wurde nichts, stattdessen landete er mit 16 Jahren in Thailand. Nach Kamerun kam er nur zurück, weil der dortige Fußballverband ihn als minderjährigen Ausländer nicht spielen ließ.
Welche moralischen Maßstäbe legt man an?
Doch man macht es sich zu einfach, in solchen Fällen nach unseren moralischen Maßstäben zu urteilen. Wenn Monga in Thailand einige Jahre hätte spielen können, wären ihm und vielen Menschen in seiner Heimat geholfen gewesen. Nicht auszuschließen, dass es seine einzige Chance bleiben wird.
Dass er erst 16 Jahre alt war? Nun, ein 16-Jähriger Afrikaner führt in der Regel nicht das sorgenfreie Leben eines europäischen Jugendlichen. Dass sich an solchen jungen Spielern manch zwielichtige Geschäftsleute bereichern? Stimmt, und ist natürlich verwerflich. Dennoch ist jede Perspektive als Fußballprofi im Ausland besser als für wenig Geld in der Heimat zu spielen.
Am Ende ist es besonders aus fußballerischer Sicht schade, wenn Talente aus dem Blickfeld verschwinden, weil sie ihre Karrieren in sportich wenig interessanten Ligen verbringen. Und vor allem eine Institution leidet darunter, wenn Talente den Durchbruch (in Europa) nicht schaffen: Die jeweilige A-Nationalmannschaft.
Was bleibt als Fazit?
Wer über Afrikas Fußball spricht, redet zwangsläufig viel über dessen Probleme. Trotz allem ist eines festzuhalten: Afrika ist wahrscheinlich der beste Ort zum Scouten. Denn während die größten Talente in Südamerika oder Europa längst Millionen kosten, haben nur wenige afrikanische Topspieler das Glück, entdeckt und vermittelt zu werden. Im Umkehrschluss heißt das: Hier schlummert jede Menge Potential, das günstig ist und bei dem seltener andere Agenten oder Klubs dazwischenfunken.
Es gibt nur eine Bedingung: Man muss das Abenteuer annehmen und nach Afrika reisen.
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