Mo Salah & sein Idol Aboutreika: Die Gefahr, Ägyptens bester Fußballer zu sein

In der F.A.Z. berichtete ich während der WM über den afrikanischen Fußball. Teil 1: Seit der Revolution vor sieben Jahren ist der Fußball in Ägypten politisch, wie die tragische Geschichte von Mo Salah's Idol Mohamed Aboutreika anschaulich zeigt. Sie ist eine Warnung für Ägyptens neuen Superstar.

Foto: offizielle Facebook-Seite von Mohamed Aboutreika
Foto: offizielle Facebook-Seite von Mohamed Aboutreika

Hier geht es um den ersten Afrika-WM-Artikel in der F.A.Z. Den Artikel zu Senegal gibt es hier, die Analyse von Afrikas Abschneiden in Russland hier.

 

Bevor die Ägypter Mohamed Salah spielen sahen, waren sich wohl alle einig, dass Mohamed Aboutreika der beste Spieler in der Geschichte Ihres Landes sei. Aboutreika, Jahrgang '78, galt als Ägyptens Antwort auf Zinedine Zidane. Er gewann unzählige Titel mit Al Ahly, war zwei Mal Afrika-Cup-Sieger mit der Nationalmannschaft, Kapitän bei den Olympischen Spielen in London und BBC African Footballer of the Year 2008. 

 

Noch dazu umgab Aboutreika ein gewisser Mythos: Er hatte einen Universitätsabschluss in Philosophie, war sehr gläubig, unterstützte die Bevölkerung von Gaza, galt überhaupt als einer der größten Wohltäter Ägyptens und hatte nie der Verlockung erlegen, seine Heimat zu verlassen und nach Europa zu wechseln. Kurz: Aboutreika war ein Volksheld wie es Mohamed Salah heute ist. Und er war Salah's Idol und Mentor.

 

Die Geschichte hat kein Happy End: Heute lebt Aboutreika im Exil, weil er in Ägypten auf staatlichen Terrorlisten steht. Seine tragische Geschichte zeigt, wie schmal der Grat ist, auf dem Ägyptens beste Fußballer in einem total politisierten Umfeld balancieren müssen. Auf diesem dünnen Seil steht heute Salah. Was das bedeutet und wie er damit umgeht, kann man hier nachlesen: "Volksheld und Staatsfeind", erschienen in der F.A.Z. vom 19. Juni.

 

Hinter der Geschichte

 

Natürlich konnte ich, nachdem ich im Wintersemester 2012/13 in Kairo gelebt und studiert hatte, nicht ohne Trikot nach Hause gehen. Welchen Spieler ich auf das Shirt der ägyptischen Nationalmannschaft flocken wollte, war ohnehin klar: Mohamed Aboutreika, Rückennummer 22. Man konnte damals gar nicht anders, als Aboutreika-Fan zu werden.

 

Ich war zu einer politisch extrem aufgeladenen Zeit in Ägypten: Eineinhalb Jahre zuvor die Revolution, danach die Übergangsregierung der Militärs, die nicht so recht von der Macht lassen wollten, und schließlich die Wahl Mohamed Mursis zum Präsidenten. Als ich im Oktober in Kairo landete, waren Mursi und die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei – die Muslimbrüder also – seit ein paar Monaten an der Macht, die aber schon bald zu bröckeln begann.

 

Aboutreika war da schon nicht mehr nur der Fußballstar, Wohltäter und Volksheld wie vor der Revolution. Dass er als einer der wenigen Prominenten während jener Tage auf den Tahrir-Platz gekommen war, hatte eigentlich zu seinem Legendenstatus beigetragen, wurde ihm nun jedoch immer öfter als Unterstützung der Muslimbrüder ausgelegt, die wiederum bei Teilen der Ägypter verhasst waren. Noch war Aboutreika ein Held, aber er wurde zunehmend zum Politikum. 

 

Ein halbes Jahr nach meinem Studium traf ich Aboutreika. Für die ZEIT war ich in Ägypten, um eine Geschichte über Al Ahly zu schreiben, das bei der Klub-WM ein möglicher Bayern-Gegner war.  

 


Ich schrieb: "Wenn auf dem Tahrir-Platz die Proteste hochkochen, herrscht auf der kleinen, nur wenige hundert Meter entfernten Nil-Insel Zamalek eine friedliche Ruhe. Dort, am Fuße des Kairo-Towers, vor dem Eingangstor des Fußballklubs Al-Ahly steht an diesem Morgen eine Frau. Sie trägt ein Baby auf dem Arm und wartet. Auf Mohamed Aboutreika, den "Prinzen der Herzen", so nennen die Ägypter ihren größten Fußballstar.

 

Als Aboutreika erscheint, ist er sogleich von Kindern umringt. Der Spieler lächelt, die Frau läuft zu ihm, den Tränen nahe, spricht sie ihn an. Ihr Kind sei krank, sie habe kein Geld. Die Leute aber hätten ihr gesagt: "Geh zu Aboutreika, er hilft dir." Der 35 Jahre alte Mittelfeldspieler ist eine Ikone, ein Volksheld, der sein Geld nicht über Stiftungen verteilt. Aboutreika gilt als einer der größten privaten Wohltäter im Land, auch an diesem Morgen notiert er sich die Telefonnummer der Frau. Dann steigt er auf ein wartendes Motorrad und düst davon. Im Kairoer Verkehr wäre sein Auto einem anhaltenden Belagerungszustand ausgesetzt." 

 

Die Begebenheit mit der Frau war beeindruckend und anderswo kaum vorstellbar. Mit Aboutreika verabredete ich mich am nächsten Tag zum Interview – doch dazu kam es nicht. Seinem Klub war es zu heikel, schließlich hatte Aboutreika erst kürzlich für eine Kontroverse gesorgt.

 

Nach dem Champions-League-Sieg hatte sich Aboutreika geweigert, Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Hand zu schütteln. Der Ex-General war ein paar Monate zuvor nach einem Militärputsch und einem Massaker an den Muslimbrüdern an die Macht gekommen.

 

Nachdem ein Mitspieler Aboutreikas nach einer Jubelgeste zur Unterstützung der Muslimbrüder bereits suspendiert war, wollte Al Ahly unter keinen Umständen riskieren, dass Aboutreika die Klub-WM verpasst. Schließlich wollte er hinterher seine Karriere beenden.

 

Letztendlich war Aboutreikas Weigerung, Sisi die Hand zu geben, der Beginn einer Eskalation, die (vorerst) damit endete, dass er vergangenes Jahr auf staatliche Terrorlisten gesetzt wurde wegen Unterstützung der Muslimbruderschaft. 

 

Aboutreikas Rückennummer 22 ist in Ägypten legendär
Aboutreikas Rückennummer 22 ist in Ägypten legendär

Dass die Muslimbruderschaft, diese Volksbewegung, die, als ich in Ägypten studierte, noch demokratisch legitimiert das Land regierte, heute eine Terrorgruppe sein soll, ist ein anderes Thema. Seit ein paar Jahren, jedenfall, lebt Aboutreika in Qatar und arbeitet als TV-Experte für Bein-Sports.

 

Der ägyptische Fußball ist bis heute extrem politisiert. Was nach zwei Stadiontragödien mit etwa 100 Toten vielleicht nicht überraschend, aber sicher nicht hilfreich ist. Ägyptens Fußballverband, etwa, hielt vor den jüngsten Präsidentschaftswahlen eine Pressekonferenz ab, um für Sisi zu werben. Eigentlich ein Fall für die Fifa, die laut Statuten auf die Trennung von Fußballverbänden und Politik achten muss.

 

Eine kleine Anekdote zum Schluss: Bei meinem letzten Besuch in Kairo traf ich Mohamed Zidan in seinem Café im Stadtteil Doqi. Beim zweiten Mal stieß ich an einem Champions-League-Abend zu einer größeren Runde. Zidan stellt mir seine Freunde vor, auch einen Teenager, der sei "Mubaraks Enkel".  Weil sich alles um Fußball drehte, verstand ich das zuerst nicht, bis Zidan nochmals erklärte, dass der Opa des Teenagers Hosni Mubarak war, der während der Revolution gestürzte Dikator. 

 

Zidan und Aboutreika waren die beiden – sehr verschiedenen – Stars der Goldenen Generation Ägyptens, die 2006, 2008 und 2010 den Afrika-Cup gewann. Heute sind die Helden von damals politisch genauso gespalten wie ihre Heimat.

 

Hier geht es um den ersten Afrika-WM-Artikel in der F.A.Z. Den Artikel zu Senegal gibt es hier, die Analyse von Afrikas Abschneiden in Russland hier.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0